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Tag Archives: dom perignon

Champagne in the (Purple) Brain

Purple Brain, Düsseldorf. Zwischen Le Flair und REWE-Markt liegt die Konzeptbar Purple Brain von Andrew Holloway, den Düsseldorfern vor allem aus dem Weinhandel rotweiss bekannt. Andrew bietet dort vom Vegemitesandwich (auf speziellen Wunsch) bis zum Onkel-Bier allerlei köstliche Kleinigkeiten an, Champagner (gut und günstig:  Nominé-Renard, bekannt und bewährt: Bollinger) natürlich sowieso. Und wo es Champagner gibt, zieht es mich wie durch Zauberkraft hin. Meist mit noch mehr Champagner im Gepäck. Denn zu probieren gibt es immer was und weil der Mensch nicht gern allein probiert, ist eine muntere Verkosterrunde schnell einberufen.

Als Opener habe ich den von mir so hoch geschätzten

Leclerc-Briant Brut Reserve en Magnum

mitgebracht, der auf der Zungenmitte immer etwas auszuufern droht, sich zum Ende hin wieder fängt, nicht zu hoch dosiert ist und trotzdem die breite Masse der Kunden im Blick hat, ohne die Biodynamiefraktion zu vergraulen, der er schließlich selbst entstammt. Schöner, starker, feinmürber Champagner, der an diesem Abend auch durch den Magnumeffekt lange als Maßstab herangezogen wurde.

Von

Champagne Florence Duchêne 

habe ich die beiden Schwestercuvées Kalikasan und Dimangan nachgeführt. Die sind deshalb schön im Vergleich zu trinken, weil sie über denselben DNS-Code verfügen, nur dass der Dimangan etwas höher dosiert ist. "Kann ich nicht beurteilen, muss ich nackt sehen" zieht dann nicht. Bzw. eben gerade doch, denn die Kalikasan ist ja die Dimangan in nackt, eine richtige fruchtbare Naturgottheit, deren 3 Gramm Restzucker nicht alt Wampe oder Speckrollen zu qualifizieren sind, sondern als Mütterlichkeitsattribut. 

Weg von der Mütterlichkeit, hin zum männlichen David Bourdaire von

Champagne Bourdaire-Gallois

der weit mehr als die zwei von mir mitgebrachten Champagner zu bieten hat, aber die beiden von mir für das Purple Brain ausgesuchten Champagner standen in einem gewissen inneren Probenzusammenhang zu Florences Babies. Von David hatte ich den Brut Tradition in seiner aktuellen und in seiner noch unveröffentlichten, resp. seit Ende Januar erhältlichen Fassung (reiner Meunier! Basis 2011, mit 4,5 g/l dosiert) mitgebracht. Die waren sich sehr ähnlich, erstaunlicherweise wirkte der jüngere von beiden trotz meiner Meinung nach ausreichender Ruhe nach dem Dégorgement fortgeschrittener und reifer, beide aber dennoch jung, knackig, ausgelassen und freundlich, was sich der Rebsorte verdankt, die ich praktisch gar nicht anders kenne. 

 

Ein anderer Winzer ist bei

Champagne Maurice Grumier

für den Spaß im Glas verantwortlich: der junge Fabien Grumier. Dessen Jahrgang 2006 hatte elenderweise Kork, so dass nur der Ultra Brut zum probieren übrig blieb, der im direkten Vergleich mit

Champagne Lallier

kein leichtes Spiel, sondern einen ausgemacht schweren Stand hatte. Der Lallier, ein Haus, das man immer nicht so recht im Blick hat, was die charmante Vanessa Cherruau hoffentlich recht bald geändert haben wird, zog alle Register eines Erzeugers dieser Größe: Rondeur, Grandeur, Finesse, gekonnter Umgang mit Dosagelosigkeit, geschickte Zusammenstellung der Grundweine, die typischen Vorzüge eben. Nachteil: der Champagner wirkt nicht gesichtslos, aber verschwommener als die überscharf herausgeabreiteten Konturen der kleinen Winzerlein. Richtig überscharf im Sinne von fast schon wieder schartig gewetzt war der Ultra brut von Grumier freilich nicht. Nur eben das Gegenkonzept zum Lallier. Individuell, zugespitzter, härter, schwerer zugänglich, mit viel im Mund hin- und herspülen dann aber doch irgendwann so weit aufgeknackt, dass er freudige Erregung hervorrief.  

Eine ganz andere Art von Champagner macht man in Bassuet, das ich bis vor kurzem noch nicht einmal grob in der Champagne hätte verorten können. Nun weiß ich, wo der Ort liegt und werde ihn häufiger ansteuern, den

Champagne Baffard-Ortillon

macht dort einen Blanc de Blancs Grande Réserve und einen Blanc de Blancs Cuvée Leone (eingepackt in ein orangefarbenes Schnürkorsett, wie eine Light-Version des Lackdingens, das Jean-Paul Gaultier einst dem Piper-Heidsieck Rare verpasst hat), die es beide in sich haben. Der Chardonnay lässt sich nur ganz schwer einer bestimmten region zuordnen, für Côte-des-Blancs boys ist das nichts. Zu leicht, zu flitterig, zu wenig Säure, keine Kreide. Auch in der Montagne oder im Sézannais würde man den nicht vermuten, aus der Côte des Bars vielleicht? Nein. Aus einem der zugigen seitentäler der Marne, wo sonst nur Meunier wächst? Iwo. Also: sehr leicht als Chardonnay zu erkennen, aber sehr schwer örtlich zuzuordnen. Sehr freidfertig, aber nicht von der dümmlich-harmlosen Art. Lohnt den zweiten und dritten Blick, bzw. Schluck, resp. Flasche. Oder Kiste.

Wieder ganz anders ist

Champagne Charlot-Tanneux

wo Vincent Charlot wirkt. Das ist einer der Winzer, die mir in jüngster Zeit mit am häufigsten empfohlen, nahegelgt und aufgedrängt wurden. La Fruit de ma Passion Extra-Brut (65PM 20PN 15CH aus den Lagen La Genette und Les Chapottes in Mardeuil, zusammen ca. 1.1 ha) und L'Extravagant "sans sulfites ajoute" Extra-Brut sind aufregende Weine, die viel Luft brauchen und sich dann dankbar entfalten. Vor allem gegen den Extravagant ist waffenfähiges Kokain ein armseliger Dreck. Sowas mitreißendes findet man selten, ähnlich habe ich glaube ich nur beim Parallelchampagner von Dominique Moreau empfunden. Der Fruit de ma Passion ist eine nicht unbedingt notwendige, aber sehr lehrreiche Stufe auf dem Weg dorthin. Er macht klar, wie Vincent Champagner verstanden wissen will, seinen eigenen zumindest. Entschiedenheit, Finesse und Sensibilität verdanken sich möglicherweise dem Boden hier, die Kreide findet sich am Fußabschnitt der Hügel, der überwiegende Teil ist Sand und eine ganze Menge Silex findet man ebenfalls. Leider gibt es nur sehr wenige Flaschen.

Getrunken wurden nicht nur Pärchen, einzelne Flaschen gab es auch. 

Champagne Paul Déthune Blanc de Blancs

war im Kontext der ganzen niedrigdosierten Champagner doch sehr süß. Nicht schlecht, aber sehr süß.

Champagne Clément-Perseval Brut Premier Cru

war zum Beispiel so einer von den Champagnern, die dem Déthune das Leben schwer machten. Agil, wendig, facettenreich, wandlungsfähig, eine richtige kleine Korvette im Vergleich zum dicklicheren, brachialeren Déthune, der speckiger glänzte, rundlicher satter und sättigender war. Sehr viele Sympathien konnte

J.L. Vergnon Cuvée Eloquence Extra Brut

auf sich vereinigen, ein mit 3 g/l dosierter Blanc de Blancs (aus Avize, Oger und Le Mesnil), wie er im Buche steht. Der Artisan de Champagne gefällt mir jedes Jahr gut, vielleicht gerade weil er nicht dem plakativ-eloquenten Stil entspricht, der eher als redselig gelten kann, sondern weil bei ihm alles so schön abgewogen und bedacht ist.  

Von meinen wenigen Flaschen, die ich aus dem Hause 

Champagne Daniel Savart Cuvée l'Ouverture

habe, konnte ich guten Gewissens eine für die gute sache opfern. Und wie immer schmeckte mir der Overture saugut. Wie ein Antikörper an das Antigen andockt, belegt dieser "einfache" Savart aus 100PN bei mir alle Schaltzellen der Glückseligkeit. Das ließ sich nicht mehr steigern und so wich ich ganz zum Schluss auf den ewig zuverlässigen, aber viel leichteren, gelinderen

 

Champagne Nominé-Renard Brut en Magnum

aus, dem jede Form von Konkurrenzdenken fremd ist, der vielmehr ein vermittelndes Naturell hat und dabei seine Eigenständigkeit bewahrt wie ein Einigungsstellenvorsitzender im Arbeitsrechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

Dom Pérignon Stage Dinner in der Laeiszhalle, Hamburg

Dom Pérignon steht für Champagner wie Burger King für fast food und Formel 1 für schnelle Autos. Um in seinem jeweiligen Bereich die Spitze zu behaupten, genügt es nicht, ein bekanntes Erfolgsrezept stumpf ad infinitum zu perpetuieren. Das gilt für Luxusgetränke, wie für fast food und Autos. Spitze ist avant-garde, deren glamouröse Vorreiterrolle verdient sein will. Carl von Clausewitz wusste, dass die Vorhut nicht nur eine beobachtende Funktion hat, sondern auch mit Widerstand konfrontiert wird, dem sie sich mutig zu stellen hat. Das verschafft dem Rest der Truppe Zeit und offenbart die Absichten des Gegners, der aus seiner Deckung gelockt wird. Utz Claassen nennt das in seinem ansonsten ziemlich unerträglichen Buch "Unbequem" wie? Genau: unbequem.

Dom Pérignon ist ein solcher Avantgarde-Champagner; ganz anders, als die gewagtesten Champagner der Aube-Winzer oder die Kreationen der jüngsten Generation von Winzern, die jetzt gerade das Ruder im elterlichen Betrieb übernimmt, eher ein Bataillon als ein Spähtrupp, würde Clausewitz sagen. Das Zeitmoment, das in der Arbeit vieler Champagner-Kellermeister eine zwingend wichtige Rolle spielt, wird von Dom Pérignon schon seit Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Denn bei einer zyklischen Betrachtungsweise, die im Weinbau naheliegt, zeigen sich im Laufe der Jahrzehnte typische Entwicklungen. Bei Dom Pérignon spricht man von drei plénitudes und meint damit die drei Stadien der Champagnerreifung. Ist die erste plénitude nach ca. sieben Jahren durchlaufen, kommen wir in den Genuss des jeweils neuen Dom Pérignon Jahrgangs, der fortan gedanklich ein "P1" tragen sollte. Nach weiteren sieben Jahren hat sich der Charakter des Champagners stärker ausgeprägt, teilweise sogar gewandelt. Dann ist die zweite plénitude durchlaufen und der Dom Pérignon erhält ein neues Kleid. Das Etikett ist nun schwarz und bis vor kurzem prangte der Zusatz "Oenothèque" darauf. Das hat sich jetzt geändert. Die Oenothèque heisst nun nicht mehr nur hausintern sondern ganz offiziell "P2", der erste Jahrgang mit dieser Bezeichnung am Hals ist der 1998er Dom Pérignon. Wer den noch im Keller liegen hat oder sich dessen Geschmack auf andere Weise vergegenwärtigen kann, sollte das schleunigst tun. Denn bei diesem Jahrgang erkennt man die Entwicklung sehr deutlich. Je nach weiterem Reifeverlauf wird es in weiteren ca. sieben Jahren einen "P3" geben, aber bis dahin müssen wir uns noch in Geduld üben. Hauptsache ist erstmal, dass das Spätdégorgement verstanden wird.

Zur Feier dieses in der Champagnerwelt u.a. auch von Bollinger (R.D.), Krug (Collection), Jacquesson (Dégorgement Tardif) gepflegten Konzepts und zum besseren Verständnis hat sich das Team um den Mönch etwas schönes einfallen lassen. Nämlich eine synästhetische Produkterfahrung. Alle drei Hamburger Zweisterner, Christoph Rüffer vom Haerlin, Thomas Martin vom Louis C. Jacob und Karlheinz Hauser vom Seven Seas im Süllberg bündelten ihre Kräfte, um in der Laeiszhalle aufzuspielen. Friedrich Liechtenstein leitete alles andere als unbequem durch den Abend, der von Nayon Han auf dem Cello, Eberhard Lauer an der Laeisz-Orgel und einem Teil der Berliner Symphoniker instrumental begleitet wurde, vokal kamen der Monteverdi-Chor und der Hamburger Mädchenchor hinzu, Bach und Brahms forderten den Intellekt. Sara Zinna und Marten Baum lieferten sich eine Tanzschlacht mit den b-boys der flying steps academy, pas de deux traf auf urban dance, Bach auf Coldplay und am Ende gab es Anonymous Love für alle.

Zur Eröffnung gab es Dom Pérignon 2004 und Kleinigkeiten zur Einstimmung auf die verschiedenen Küchenstile der Kochgefährten des Abends.

Karlheinz Hauser kombinierte erst Kalbstartar, Petersilie, gebackene Sardelle und Zitrone, dann Iberico Schweinebauch, Ponzu, Mango, Gurke. Mir gefiel die Sardellenidee zum Dom sehr gut, der Schweinebauch hätte heißer und krosser sein dürfen, dann wäre der Kontrast mit Mango und Gurke augenfälliger gewesen und der Champagner hätte klarer dazu glänzen könnenn.

Christoph Rüffer offeriert Thunfisch mit Erdnuss & Salzpflaume und danach einen Gänseleberlolli mit Passionsfrucht & Ziegenkäse; klingt banal, nach Sofasnack und Lolita, passt aber. Vor allem die Kombination aus Fisch, Nuss und Obst unter einem gemeinsamen salzigen Dach fügt sich feinsinnig in die weit geöffneten Aromenslots des Champagners. Konventioneller schien die Gänseleber, nur mühsam gebändigt die Passionsfrucht, die Zusammenstellung insgesamt ein Hinweis für Freude an der Provokation und Risikolust.

Thomas Martin bot einen Rote Bete Maccaron mit Entenlebermousse an und wies damit auf die erdigen und bodenständigen Komponenten des Champagners hin. Hamachi mit Tomate und Koriander kitzelten wieder die Seeseite und vor allem der Koriander holte Orientalik aus den Tiefen des Glases.

 

Menü:

 

I. Thomas Martin, der im Hauptteil seine klassische Küche zelebriert, verpaarte den klassischen Dom Pérignon mit Klassikern zum Sattwerden.

I.1 Schottischer Biolachs im Kräutermantel mit Osietrakaviar von AKI, Crème Fraîche und Brioche

I.2 Samtsuppe von Kaisergranat mit karamellisiertem Apfel und Zuckerschoten

dazu jeweils: Dom Pérignon 2004, der immer wieder mit seiner Nähe zum Dill überrascht, besonders deutlich war das beim Kräutermantel vom Lachs schmeckbar. Mit dem Öl der Meerestiere gab es keine Probleme, im Gegenteil. Die räucherigen Aromen vom Dom umwoben den Kaviar wie ein hauchzartes Negligé, Crème Fraîche und Brioche kamen so selbstverständlich dazu wie die unvermeidlichen besten Freundinnen einer College-Partyqueen. Beim Kaisergranat entzückte einerseits, dass keine Spur von verbrannten Aromen zu schmecken war, was ich leider selbst in der Sterneküche schon erleben musste, andererseits die Apfelstücke, die hie im Champagner wie dort in der Speise aus den Nichts aufzutauchen schienen, gegen den Gaumen stießen und sofrt wieder abtauchten. Sowas erzeugt Vergnügen.  

 

II. Christoph Rüffer, in Hamburg wohl der primus inter pares, kochte clever, frech und ausgereift, was ihn zu idealen Partner des P2 machte. Großartig war die Idee, ein wohlbekanntes und in jeder Truckergaststätte schon bis zum Ende durchgenudeltes Gericht mit Zutaten der Hochküche zu revitalisieren. Beim P2 kann man schließlich einen ganz ähnlichen Effekt miterleben, nur dass weder der normale noch der spätdegorgierte Dom Pérignon oft in Truckergaststätten anzutreffen ist. Obwohl, so genau weiss man das ehrlich gesagt gar nicht.

II.1 Cordon Bleu von Kalbsbries und Gänseleber mit Karottenpüree, Pfifferlingen & Orangenblüten-Dashi

II.2 Steinbutt mit Bouillabaissejus Fenchel & Sauce Choron

dazu jeweils: Dom Pérignon P2 1998, der unvergleichlich leicht und porentief zugleich war. Das ist in meiner Wahrnehmung sowieso ein Schlüsselmerkmal des Dom Pérignon, neben den üblichen Toast-, Pilz- und Röstaromen: die Leichtigkeit, das Er-leichternde des Champagners, das mir beim regulären 98er und bei den schwächeren Dom-Jahrgängen wie 92, 93, 2000 insgesamt immer gefehlt hat. 

 

III. Karlheinz Hauser versöhnte mit dem Merinolamm den theoretischen Veganer in mir und ließ den Tod dieser Tiere nicht nur sinnvoll, sondern zwingend notwendig erscheinen. Genauso zwingend war der Griff zum Dom Rosé 2003, der Lammfleisch und Orange zu verbinden verstand, wie es ein Stillwein vielleicht nicht gekonnt hätte. Tomate und Sobrasata machten diese Aufgabe nicht leichter, wobei leicht auch nicht der bevorzugte Tummelplatz dieses Champagners ist. Süß aber auch nicht, wie sich dann zeigte. Trotz eines witzigen Limonadencräckers und des für sich genommen noch gut passenden Lavendels war die Süße zu massiv und vielgestaltig, um den besonders weinigen Champagner angemessen einzukleiden oder umgekehrt sich von ihm umfangen zu lassen. 

III.1 Verschiedenes vom Merino Lamm, Orange – Quinoa Bohnen – Sobrasata – Tomate

III.2 Gebrannte Mandelcreme, weißer Gascogne Pfirsich – Limonade – Lavendel

dazu jeweils: Dom Pérignon Rosé 2003.

Zum Ausgleiten gab es Dom Pérignon aus der Leuchtflaschenedition, dazu die Musik von DJ Anonymous Love.

 

Eines konnte man an diesem Abend lernen: Dom Pérignon ist ein Champagner, der wie kaum ein zweiter alle Sinne anspricht und auf allen Ebenen interpretiert werden kann. Essen allein reicht dazu nicht; die schwarz und weiß gehaltene Tischdeko spiegelte die beiden Rebsorten Pinot Noir und Chardonnay, die sich im Champagner spannungsvoll gegenüberstehen, die miteinander ein Tänzchen wagen, einen pas de deux aufführen und urban dance moves zeigen. Vom vollen Klang der Orgel über den wohligen Klang der Stimme von Friedrich Liechtenstein, vom Klavierstück, vom Monteverdi- bis zum Mädchenchor ist in diesem Champagnerfüllhorn alles drin. Das gezeigt zu haben, war im Kern der Zweck des Abends, zumindest für mich.

Champagner Orientierungskurs

Um sich in die Champagne einzufühlen ist nichts besser, als eine Fahrt dorthin. Die Gastlichkeit und das Lebensgefühl vor Ort nehmen doch einige Schleier weg, die den Mythos Champagner umgeben. Was dahinter zum Vorschein kommt, ist (oft) mitnichten der befürchtete Industriezombie, sondern eine –  nich lückenlos umwerfend schöne, aber immerhin sehr sehr geile, teilweise – Weinbauregion wie es sie gewiss so oder so ähnlich überall auf der Welt gibt, mit einem Boden, den es dann schon nicht mehr ganz überall auf der Welt gibt und einem Weinbauvölkchen, das entgegen aller von Interessenvertretern unterschiedlichster Herkunft hochgepeitschten Wahrnehmung doch überwiegend, auch preislich, auf dem Boden geblieben ist. 

Wenn man aus welchem Grund auch immer nicht jedes oder jedes zweite Wochenende in der Champagne verbringen kann, schadet ein Herantasten in Flaschenform nicht und wenn ich, was vorkommen soll, darum gebeten werde, dann stelle ich diese kleinen Reisesurrogate zusammen. 

I.1. Champagne Bissinger (Lidl)

Ein Discounterchampagner zum einnorden sollte dabei sein. Der schmeckt nicht zum weglaufen, aber schon ein wenig so, wie ich in der Schule meine Hausaufgaben erldigt habe, wovon ich nur deshalb heute noch so detailverliebt berichten kann, weil die wenigen Male mir in guter Erionnerung geblieben sind. Der Lidl-Champagner schmeckt also gerade nach dem in Erfüllung der Mindestvorgaben für Chmpagner allernötigsten. Durchaus saftig und noch nicht einmal simpel, aber auch nicht mit besonderer Ambition zur Reife. Komplexität oder irgendetwas, das die Palette hochwertiger menschlicher Emotionen anrührt findet sich nicht. Muss auch nicht, der Discountsprudel ist ja nur das Sprungbrett.

I. Vincent Couche Blanc de Blancs Perle de Nacre Extra Brut

Den saftigen Charakter nimmt der Champagner von Vincent Couche auf und zirkelt drauf, dran und drumherum ein Gebäude wie es die chinesischen und/oder vietnamesichen Küchenkünstler mit Wssermelonen machen, denen sie die kunstvollsten Szenerien einschnitzen. Das ist zwar noch nicht gleichzusetzen mit der großen Küchenkunst an sich, aber zeigt bedeutende handwerkliche Fähigkeiten und so wie Wassermelone schlichtweg jedem schmeckt, schmeckt auch die Perle de Nacre sicher einer breiten Menge trotz ihrer für Blanc de Blancs untypischen, geradezu rotfruchtigen Eigenschaften.

I.3 Michel Turgy Blanc de Blancs Grand Cru

Ein Blanc de Blancs von klassischerem Zuschnitt mit dennoch eigenem Gepräge ist der von Turgy, dessen Jahrgänge ich schon seit Jahren wie närrisch kaufe, um sie dann immer viel zu schnell wieder ausgetrunken zu haben und mich wegen meiner Gier zu bemitleiden. Ganz auf diesem Niveau spielt der jahrgangslose Chardonnay von Turgy nicht, aber er ist so kräftig, mit dickem Kreidebelag ausgestattet und nicht zu sauer, so dass Ersttrinker von ihm nicht verschreckt werden. Zwei Champagner, die nach dem Lidlstoff klarmachen, was der Unterschied zwischen einer einfachen Basiscuvée und individuellem Chardonnay ist.  

II.1 Moussé Blanc de Noirs

80PM 20PN aus Cuisles, Jonquery, Châtillon sur Marne und Vandière, 24 Monate auf der Hefe

Sehr delikat war danach der Übergang zum Gegenkonzept Blanc de Noirs. Cedric Moussé gehört nach 12 Generationen Weinbau innerhalb der Familie nun zur neuesten Generation junger Winzer, zu der ich beispielsweise auch Jean-Marc Séleque und Thibaud Brocard zähle, deren Champagnerhandschrift noch nicht ganz ausgefeilt ist, deren Kreationn aber unbedingt verfolgenswert sind. Der Blanc de Noirs von Moussé, der sich bestens auf Pinot Meunier versteht, zeichnet sich durch das wohlige, weiche, fruchtige und unkomplizierte, aber nicht einfältige Meunier-Element aus, das von einem eleganten Spätburgunderaufsatz gekrönt wird. Dieser Übergang vom Blanc de Blancs zum Pinotchampagner ist ein leichter.  

II.2 Bernard Tornay Blanc de Noirs Grand Cru

Mit dem Pinoit aus Bouzy, der dann von Bernard Tornay ins Glas kam, fiel es schon schwerer, sich anzufreunden. Hier war doch sehr viel Kastanie, Honig, auch Hustenmedizin und Rosmarin mit drin, das machte den Champagner langsam als würde beim drag racing der Bremsschirm aufgehen oder eine Pistolenkugel im kriminaltechnischen Prüflabor in einen Jellyglibber geschossen, um das Projektil zu sichern. Zu Illustrationszwecken ist das eine richtige und gute Entscheidung, für den Sologenuss würde ich ehrlicherweise einen anderen Champagner vorziehen, sei es von Tornay selbst (der Palais des Dames zum Beispiel) oder von anderen Könnern im Ort (Maurice Vesselle, Benoit Lahaye, André Clouet, um nur die ersten Namen zu nennen, die mir spontan dazu einfallen). 

III.1 Serge Mathieu Millésime 2008

100PN

Die Reise geht weiter zu Serge Mathieu und damit an die Aube. Der 2008er Jahrgang, ein Champagner voller Ebenmaß und innerem Gleichgewicht, obwohl die Rebsorte taositisches Yin verkörpern müsste, strenggenommen; bzw. eigentlich stimmts ja doch, denn die schwarze Rebsorte mit dem weißen Saft hat in der vorliegenden Form weiße Charakterzüge abbekommen, also Leichtigkeit, Frische, weißes Fruchtfleisch und ein sonnenhelles Gemüt, so dass das buddhistische Bild nicht ganz verkehrt ist. 

III.2 Chartogne-Taillet Millésime 2008 

60PN 40CH, von ca. 30 Jahre alte Anlagen in der Lage Les Couarres

Merfy, mit 84% auf der échelle des crus unter jedem Radar, ist ein Ort, der das klassische System der Grands und Premiers Crus ad absurdum führt. Qualitativ ist der 2008er von Alexandre Chartogne locker im oberen Premier Cru Bereich einer, de lege ferenda, noch zu kreierenden Skala. Fetter als der Aubepinot, was auch die fortgeschrittenen Verkoster bei diesem flight in die Irre zu führen geeignet war. Bei genauen hinsehen konnte man aber beim Aubechampagner die typische Malzigkeit, Kräuterzucker und Grotrinde feststellen, wenngleich in ungewöhnlich nidriger Dosis, während der Jahrgang aus dem Norden frei davon war und sich damit zu erkennen gab.   

IV.1 Marie-Courtin Cuvée Concordance

Alte Pinot Noirs (gepflanzt 1968) aus Massenselktion, im alten Barrique mit weinbergseigenen Hefen vinifiziert, ohne Schwefelzugabe, ohne Dosage. Kompromissloses Zeug. Der schwefelfreie Champagner von Dominique Moreau hatte deshalb die knifflige Aufgabe, in einer kontrollierten Kollision mitzuwirken, einem Frontalaufprall von ganz kleinem und ganz großem Erzeuger. Die Concordance stürzte sich mit Vergnügen in die Auseinandersetzung und legte gewaltig vor. Am Gaumen krachte und splitterte es nur so vor brechendem Kirschbaumholz, schwarzer Johannisbeere, Amalfizitrone und Biscuit. So viel Chaos, so viel Aktion, so viel Kraft auf einmal in einem Glas – schwer, das zu toppen, das war allen am Tisch klar.  

IV.2 Dom Pérignon 2004

Ich kann nicht behaupten, dass der Dom Pérignon 2004, von dem ich sehr viel halte, den Champagner von Marie-Courtin getoppt hätte. Weder mühelos, noch unter Anstrengung. Es war vielmehr so, dass die beiden Champagner überhaupt keinen spürbaren Kontakt zueinander aufgebaut haben und das, obwohl sie unter viel Getöse hätten ineinanderknallen sollen. Der Dom ging der Concordance auch noch nicht einmal hochmütig aus dem Weg, sondern es war mehr wie eine Begegnung auf andrer, unkörperlicher Ebene. Der 2004er Dom bewegte sich nah am vollständig ausgefüllten Phasenraum, so viele Aromatrajektorien oszillierten darin kreuzungsfrei herum, während die Marie-Courtin sich mindestens ebenso dicht am Urknall positioniert hatte. Beide Champagner habe ich so noch nie nebeneinander probiert und war deshalb selbst a überraschtesten vom flight.  

V.1 Drappier Rosé

Vitalisierend, gut durchblutet und mit aller drappiertypischen Eleganz, der man die komplizierten Verstrebungen in ihrem Inneren nicht ansah, kam die Rosécuvée ins Glas und erlöste die Gaumen nach dem Tritonus des vorherigen flights, nicht ohne angeschweppeste Gesichter zu hinterlassen, die den herbfischen Quitten-, Chinin-, Sanddornton des Champagners nach dem ruhevollen Dom Pérignon erst wieder verkraften lernen mussten. 

V.2 Piper-Heidsieck Rosé Sauvage

Nach dem Saignéerosé kam ein anderer alter Bekannter an die Reihe, der wie Kirschmarmelade auf Pumpernickel schmeckte und damit zu verstehen gab, dass er die allererste Zeit nach der Freigabe schon hinter sich gelassen hat. Ein Jammer, fiel mir in dem Moment auf, dass da nicht vorab ein Degorgierdatum zur Handreichung dienlich war, denn dann häte ich wahrscheinlich zum eigenen größeren Vergnügen nicht einen so großen Kontrast zwischen den Rosés gewählt. Didaktisch mag das in dieser Form nämlich noch vertretbar gewesen sein, aber der Piper Rosé war einfach nicht in der klassischen jugendlichen Frischeform, in der ich ihn eigentlich präsentiert haben wollte. 

VI. Janisson-Baradon Cuvée George Baradon 2001

In umso besserer Form war dafür die alte Prestigecuvée von Janisson-Baradon, die ich bei meinem letzten Aufenthalt in Epernay dem großherzigen Cyril in Person abgeschwatzt und aus dem neuen Laden direkt im Herzen des Orts herausgetragen habe, kurz bevor eine kleine Schar Hamburger Champagnerfans im weißen Rolls-Royce vorfuhr und sich bei späteren Wiedersehen zwar als sehr umgänglich erwies, in mir aber Befürchtungen hochkeimen ließ, die gewünschten raren Flaschen möglicherweise nicht mehr zu bekommen, wenn ich nicht schnell genug handelte. Tat ich ja dann zum Glück und wurde belohnt. Die letzte Cuvée George Baradon 2001 habe ich vor längerer Zeit getrunken und da war sie gut, aber schien mir auf dem absteigenden Ast. Diese jetzt war in Hochform und für mich so richtig verständlich geworden, da ich ihre beiden Einzelkomponenten, den Chardonnay Muscaté Toulette und den Pinot Noir aus der Lage Tue Boeuf zwischenzeitlich einige Male nebeneinander hin- und her hatte probieren können. Das Amalgam aus diesen beiden, wobei man sich unter dem Toulettes das Quecksilber vorstellen muss, ist wie ein Kristallnugget, in dem die formschönen Einzelmerkmale von Chardonnay-Muscaté und Pinot Noir eingeschlossen sind. Urwüchsige Knorrigkeit und schwerelose Leichtigkeit, Holz, Frucht und Säure sind hier in einem Klumoen dicht gepackt.  

Champagner Dîner im Restaurant Francais (*/17), Steigenberger Hotel Frankfurter Hof

Die erste Probe im neuen Jahr. Grund genug, sich nur auf das Beste zu beschränken. Also ein Dom Pérignon Menu. Gesagt, getan: der freundliche Restaurantleiter des besternten Restaurant Francais, Herr Blümke, der in der Traube Tonbach sein Handwerk erlernt hat, war schnell für die gute Sache zu gewinnen und ein Menu war dank beidseitiger Begeisterung leicht zu komponieren. Es gab: 

Opener: Gougères

dazu Reinhold Haart, Piesporter Goldtröpfchen Spätlese 2007, Magnum

Im international geprägten Barvorraum des Steigenberger Hotels Frankfurter Hof hatte ich die provisorische  Sammelstelle für Dinner-Teilnehmer eingerichtet. Als Leuchtturmersatz und Signalpunkt diente mir eine langschlegelige Magnumflasche aus dem Hause Haart, an deren Inhalt sich die Eintreffenden bis zu den Gougèrs delekieren konnten und der auch mir gefiel, sonst hätte ich die Flasche ja zu Hause lassen und stattdessen Knicklichter oder ultragrelle LED-Taschenlampen der vorletzten Diners-Club Kundenwerbungsdreingabe mitnehmen können. Als die Gougères aufgetragen wurden, hatte jedenfalls praktisch keiner mehr was im Glas, ging also gut runter, der Riesling, der alte.

I. Austerndegustation: Fines, Gillardeau No. 2, Tsarskaya

dazu Moet et Chandon Coteaux Champenois Blanc de Blancs Saran NV

und Dom Pérignon 1969

Zu den Austern hatte ich den Mitte der 80er Jahre letztmals aktiv vertriebenen weißen Stillwein von Moet geöffnet. Der zeigte sich kämpferisch und mit einer für viele unvermuteten Frische, die spezielle zu den Fine de Clairs passte und zusammen mit der gutmütigen Gillardeau entzückte. Der reife, von feinen Kaffee-, Toast- und Pilzaromen durchsetzte und bei aller merklichen Reife immer noch sehr agile, ja attraktive Dom 69 machte seiner Jahreszahl alle Ehre und lud das Entrée aphrodisisch auf. Zusammen mit dem Austernallrounder Tsarskaya ein Traumpaar wie aus der Hochzeit sowjetischen Eiskunstlaufdrills.

II. Atlantik-Wolfsbarsch, Artischocke, Dattel, Speck

Dom Pérignon 2003 en Magnum

Diesen Dom darf man nicht aus der 0,75l-Flasche trinken. Da wirkt er flach, mau, saft- und kraftlos. In der Magnum dagegen zeigt er sich so, wie er hätte sein sollen, aber nur in dem größeren Format sein kann. Mit aller Eleganz Pinotwürze, Fruchtigkeit und Stärke, die der Jahrgang in die Trauben fließen ließ, und zusätzlich so, dass man die erfrischende Chardonnaykomponente nicht vermisst, selbst an die objektiv fehlende Säure dachte ich während des Essens nicht. Diese Selbstüberlistung bei der Zusammenstellung von Wein und Speisen hatte ich mit Patrick Bittner im Vorfeld eingefädelt, der die prima Idee hatte, Datteln und Speck einzusetzen, was mit dem gehabten Genusserlebnis belohnt wurde.

Pirat: Champagne Mouzon, Brut Intégral Blanc de Noirs 2005

Ficelageverschluss, Vinifikation und Ausbau im Barrique aus Ardenner Eiche

Sommelier Franck Mouzon, ein Spross  aus der Champagnererzeugerfamilie Mouzon in Verzenay, war so freundlich, einen der Augensterne aus der Produktion seiner Schwester und seines vormals besten Freunds, nun leider nur noch Schwagers, beizusteuern. Der Brut Intégral von Mouzon ist ein Champagner, der sich in das Umfeld von Dom 2003 und 1990 mühelos und mit großer Selbstverständlichkeit besser einfügt, als uns die Werbung für Autos von zB Dacia auf Golfclubparkplätzen voller Superschlorren weismachen will. Eleganz geht ihm ab, dem Mouzon, aber diese – bei wirklich gut geratenen Winzerchampagnern immer wieder anzutreffende – Aufmerksamkeit an sich reißende Präsenz und mundfüllende Aromatik macht das wett.  

III. Périgord Trüffel, Agnolotti, Treviso, Physalis

dazu Dom Pérignon 1990

und Dom Pérignon Oenothèque 1990

Ein königliches Pärchen, Dom und Dom Oenothèque aus demselben schönen Jahrgang. Lange Zeit mein unangefochtener Lieblingsjahrgang, noch vor 1988 oder 1996, und erst mit dem Duo 2002, 2004 langsam in meiner Gunst sinkend. Diese beiden bekommt man nicht oft nebeneinander serviert und erst recht nicht als Verklammerung und Verzahnung zu den Aromen vom Trüffel einerseits und der knalligen Physalis andererseits. Die Oenothèque war leider etwas verschnupft und schien aus den normalen Weißweingläsern beinahe korkig, war aber im Zalto Süßweinglas bloß etwas arg reduktiv geraten und bestach mit einer Klarheit und Reinheit, die sich von der regulären Version abhob. Die war dafür in Bestform und brauchte in ihrem riesigen Aromenrepertoire nicht lange nach Anknüpfungspunkten für die Speisen suchen.

IV. Nebraska-Büffel, Sellerie, Pfeffer, Wacholder

dazu Dom Pérignon Rosé 2003

Zum Bison kam nur ein Rosé in Frage und welcher Dom der letzten Jahre hätte besseren Dienst verrichten können, als der große 2003er? Na? Eben. Keiner; selbst 1996 nicht. Feiner Wein war das, den ich mir im Zalto Burgunderbecher schmecken ließ, denn Sellerie, Pfeffer und Wacholder forderten das. Ganz nebenher stellte sich für mich dabei noch heraus, dass es sich beim 2003er Rosé Dom Pérignon um einen der seltenen Fälle handelt, in denen die Roséausgabe der Prestigecuvée sich auf deutlich höherem Niveau bewegt, als die weiße.

V. Käse von Maître Antony: Vacherin Mont d’Or, Chaource, St. Nectaire, Cantal (24M)

dazu Moet et Chandon Rosé 1975

Zum gereiften Käse sollte es nochmal Rosé sein, aber kein so ganz feiner, selbstverliebter und Aufmerksamkeit heischender. Etwas bescheideneres, stilleres sollte es sein, mit gleichwohl gehörigem Aromenvorrat in petto. Die Wahl konnte also nur auf den Mittsiebziger-Rosé von Moet fallen. Der machte seinen Job erwartungsgemäß gut. Dem heranstürmenden Vacherin Mont d’Or stemmte er sich mannhaft entgegen, vom Chaource ließ er sich Frucht entlocken, mit dem St. Nectaire verband ihn eine zierliche Liebelei und zum alten Cantal kam herzahfte Pikanterie zum Vorschein. Ich konnte somit zufrieden sein.

Abschlussflaschen:

Weil aber selbst der beste nicht in Frieden leben kann, wenn er noch Durst hat und mitgebrachter Handvorrat nach Entledigung ruft und seinen Ruf nicht zuletzt mit lockender Gepäckerleichterung verstärken kann, konnte noch keine Ruhe sein und das flotte, freundliche, sehr gut eingespielte Team des Francois musste weiteren Dienst tun.

1. Veuve Clicquot Millesime 1943 en Magnum

Der Füllstand war ca. 1 cm unter dem Halsetikett. OK, aber nicht so, dass man seine Hand dafür ins Feuer legen würde. Trotzdem hoch den Rock, Stopfen raus und laufen lassen. Im Glas kam ein typisch bernsteinfarbener Saft an, der noch angenehm frisch schmeckte und selbst Altweinverächtern noch gefallen haben könnte. Weil er aber so schnell ausgetrunken war, kam ich nicht in die Verlegenheit.

2. Gosset Cuvée Centenaire de la Statue de Liberté 1886-1986, Millesime Rosé 1979 en Magnum

Mit erstaunlicher Frische, sehr viel aromatischem Ideenreichtum und einer noch recht lebendigen Perlage schwappte der Jubiläumsgosset ins Glas. Dessen Charakter hat sich offenkundig in den letzten dreißig Jahren kaum verändert, wer Cuvée Excellence und die Grandes Reserves von Gosset kennt, fühlt sich bei diesem sehr seltenen Champagner sofort heimisch.

3. André Clouet NV en Magnum

Als Erfrischung und Fluchtachterl bekamen dann die verbbliebenen Mitstreiter den ewig zuverlässigen und immer zu jung getrunkenen Clouet eingeschenkt. Der klärte den Gaumen von den wenigen ältlichen Tönen, die der Gosset hinterlassen hatte und bereitete vor auf das, was sich wenig später im „Parlour“, wenige Meter weiter in der Zwingerstraße noch ereignen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Champagner Masterclass mit reifen Prestigecuvées in der Villa Hammerschmiede (*/17)

In der Villa Hammerschmiede, wo seit 1. September mit dem jungen Leonhard Bader ein Mann am Herd von Vorgänger Sebastian Prüssmann steht, der sich Meriten im Adlon und auf dem Süllberg erworben hat; logisch, dass die Villa Hammerschmiede mit ihren unerwartet günstigen Preisen und dem weithin unerreichten Gebäudecharme, ganz zu schweigen vom umsichtigen, freundlichen und flotten Team, als location für eine Prestigeprobe herhalten musste, die als Masterclass dem Thema Reife verschrieben war. 

Wilhelmshof Patina 2004 hatte kusperkaramelligen Schmelz und eine zwischen Quitten, Hagebutten und Äpfeln changierende Frucht. Wirkte bei aller vollmundigen Reife frisch und stark, was am späten Dégorgement liegen wird.

Königsberger Klops mit Garnele, Erbspuree und rotem Pülverchen; dazu de Venoge Louis XV. Millésime 1995 mit Phenol, war recht ölig und hätte um ein Haar dicklich gewirkt, wäre da nicht eine  packende Säure für 95, die auch sehr gut zu Endivie oder Birnenkimchi gepasst hätte.

Nicolas Feuillatte Palmes d'Or 1995, fifty-fifty Mix, vom Chardonnay stammen 20% aus Montgueux, der Champagner wirkt deshalb dicklicher, holziger, ja insgesamt eben montgueuxiger, als normale 50/50 Cuvées, die mehr auf Balance getrimmt sind, eine krachende Stangensellerie mit Ziegenfrischkäse würde dazu schon reichen. Der Unterschied zum Cuvéevorgänger Cuvée Speciale ist neben dem Zuwachs aus Montgueux im Übrigen der Verzicht auf Pinot Meunier.

Terrine von geräuchertem Bodensee-Aal und Foie Gras, dazu Pfefferkaramell und Butterbrioche vermengt, seltsam gut schmeckte das. Dazu gab es Bruno Paillard Nec Plus Ultra 1990, der wäre besser gewesen, wenn  er zu Aal und Foie Gras getrennt hätte wirken können, er kam mir aber sowieso etwas schwächer vor, als noch vor wenigen Wochen bei Helmut Thieltges in Dreis.

Coquilles St. Jacques, dicke Bohnenkerne, Meeresbohnen und Yuzu Beurre Blanc; Charles Heidsieck Champagne Charlie 1979 und damit: Achtung grosser, grosser Stoff. Kaffee, Toffee, Röstnoten, unfassbar frische Säure und für mich einer der Champagner des Jahres 2013. Eng gefolgt vom sahnigen Taittinger Comtes de Champagne 1983, der Milchschoki und Kautschuk auffuhr, was super zur Muschel und zur gigantisch guten Yuzubutter passte. Anders war der Taittinger Comtes de Champagne 1990. Weich, ultraeingaengig, 90er pur, mit etwas verführerischem Bouquet Garni, am rande wohl auch etwas Liebstöckel, abgerundet mit einem Schuss Apfelsaft. Geangelter Steinbutt aus der Bretagne, gegrillter Chicorée, Quinoa, gesäuerte Emulsion aus Kapern und Kalbsjus; perfekt dazu gab es mit dem sehr raren, weil allüberall ausgetrunkenen Taittinger Comtes de Champagne 1994 einen Champagner, der sich im Himmel dazu gepaart hat; leicht röstig, schwebte mit feiner Zitrusnote hinein ins Mahl, ein Zitrusdüftchen, das zum Steinbutt fabelhaft aufblühte, nachher kam noch etwas ältlicher Stöckel, der mich aber nicht störte, sondern zu Kaper und Kalbsjus sogar trefflich passte.

Limousin Lammrücken, Sellerie, eingelegte Birne, Bratensaft und Beurre demi-sel, dazu Leon Barral Jadis 2008, toll zum Jus, schicke Syrahpflaume und sexy Säure; Laurent-Perrier Grand Siècle Multi Vintage mit altem Label war noch superer zum Fleisch. Reif und leicht schlapp schon als Solowein, tiptop dagegen als Begleiter, wobei sich der letzte Rest Säure noch mobiliserte. Zum Sellerie waren beide Weine sehr gut.

Nicolas Feuillatte Special Cuvée 1987 en magnum hatte Phenol und Pilze, Akazien und Kastanienhonig, war sehr frisch, mit dem immer wieder staunenswerte Magnumfrischeeffekt in Reinform. Zusammen mit dem 94er Comtes war das wegen der geringen Jahrgangserwartung einer der beiden großen Überrascher des Abends. Nicolas Feuillatte Cuvée 225 Millésime 1997 war mit seinem feinen Barrique, danften Reduktionsnoten und dem nicht mehr ganz so cognacigen Aroma wie beim Marktstart ein starker Wein, der aber geradezu plump nach dem 87er Special Cuvée wirkte – und das obwohl ich den 225 immer als einen der eleganten Holzfasschampagner, zumal als einen der ersten offensiv von einem großen Erzeuger so kommunizierten Champagner, empfunden hatte.

Ein schlimmes Gastspiel hatte der SAV Birnenschaumschwein (Schweden) 2008, dessen Mischung aus Käsefuss und Physalis beim besten Willen keine Trinkfreude aufkommen ließ.

Dom Pérignon 1990, mein erster und bis heute in guter Form ganz weit oben angesiedelter Prestigechampagner war reif aber nicht auf der Höhe, die ihm eigentlich zusteht. Eine ganz andere Geschichte hatte dann der Dom Pérignon 1953 zu erzählen. Zwischen Gezehrtheit, Kork und Reduktion schwankte der Chapagner und zeigte nur sehr wenig Biss. Überhaupt kein Kaffee, kein Toast, kein Champignon, das war schade; interessant dagegen fand ich, dass auch jegliche Sherry-, Portwein- oder sonstige Nuss- oder Rancionote fehlte. Am Ende war das aber zu wenig für richtigen Trinkspaß, wenngleich die Ahnung von verblasster Eleganz noch immer zu beeindrucken wusste.

Geeister Montélimar Nougat, Kaffeecrème Cassisragout riefen nach einem Banyuls oder aufgespritetem Zeugs. Doch wurde es nichts davon, sondern ein libellen-, nein kolibrihaft flatternder, Ardensig Wild Yeast Viogner (Südafrika) 2012, arge Säure und schwirrender Singsang, als würde man von tausenden Pfeilen beschossen. Wildes Zeug, nicht so wahnsinnig gut zum behäbigen Dessert, aber ein faszinierender Wein. Danach wirkte der nusssahnige Stoff von Michel Turgy, Brut 2005, zahm und lindernd. Ganz versöhnt wurde der Gaumen dann vom sagenhaften Forstmeister Zilliken Saarburger Rausch Riesling Auslese 1993, dessen Frische, Spiel und Mühelosigkeit fast schon unanständig aufreizend wirkten.

Fazit: Ein herrlicher Abend mit dem neuen Küchenchef der Villa Hammerschmiede. Das Essen dort ist weiterhin sternewürdig, kann aber eine Straffung der Handschrift vertragen. Aal und Foie Gras waren nicht verkehrt, item das Dessert, aber mehr Pfiff, weniger Pampe hätte ich mir da schon gewünscht, speziell natürlich zum Champagner, der damit locker umgehen kann – obwohl natürlich die gemächliche Ausgestaltung des Menus eine ebenso gut vertretbare Lösung darstellt.

 

 

Dom Pérignon 2004

Der 2004er Dom Pérignon kursiert schon seit Monaten als Vorabprobierfläschken in Kritiker- und Meinungsmacherkreisen und durch eine Häufung glücklicher Zufälle hatte ich gleich mehrmals die Möglichkeit, diesen von mir sehnlichst erwarteten Champagner zu probieren um meine eigene Flasche möglichst lange zu schonen. Denn Dom Pérignon ist der Champagner, der mich mit dem 90er Jahrgang überhaupt erst restlos für den Champagner entflammt hat und seither hat er einen besonderen Stellenwert in meinem Champagneruniversum. Ich muss einräumen, dass ich nach dem 90er Dom nicht nahtlos schöne Erfahrungen anknüpfen konnte, meine Beziehung zu dieser speziellen Cuvée ist sogar eine eher schwierige, waren doch 92, 93 keine ganz großen Würfe und selbst nach ein paar obligatorischen Jahren der Flaschenreife keine Sextoys. Vom 95er dagegen war ich sofort angetan und heute bin ich sogar begeistert, auch 96 ist eine sichere Bank, von zu vielen Korktreffern abgesehen. Doch dann wurde es schwer, 98, 99, 00 schlugen stilistisch einen japanisch anmutenden Weg ein, reduzierte, reduktive Ausstattung, alles schlicht, meditativ, zenhaft, jodig, mineralisch, meergeprägt, algig und ganz ohne die sagenhafte Schwerelosigkeit, die ich am Dom Pérignon, insbesondere nachdem ich mich den reiferen Jahren bis zum fabelhaften 1959er und darüber hinaus 1955 (demnächst sogar dem seltenen 1953er) genähert hatte, immer so bewundert habe. Dann kam 2002, eine erste Abkehr vom japanischen Irrweg, doch ich wusste zwei Dinge: es würde auch noch ein schwieriger 2003er kommen. Aber: dann käme 2004 und eine Reihe von Jahrgängen, unter denen 2008 und vielleicht 2012 herausragen werden, bei anderen Erzeugern leuchten sie schon gleißend hell.

Jetzt ist es soweit. 2004 markiert für mich den neuen Dom Pérignon Weg. Lebensfroh, fremd, aber nicht so wie Japan, sondern eher wie die quirligen Teile der westlich orientierten Türkei. Daher vielleicht meine entfernte Assoziationen an Harem, Opiumhöhle, Safran, Nougat, Rosenwasser, Orangen- und Zimtblüte. Kreiselnd, derwischhaft, geheimnisvoll, mystisch, orientalisch, hochkultiviert. Umfassend und verwirrend, sagt Richard Geoffrey, er erschließt und verschließt sich gleichzeitig, sagt Richard Geoffrey. Und damit trifft er bei aller Offen- und Unbestimmtheit den Nagel auf den Kopf. Ich weiß, dass ich mir davon viel hinlegen werde, trotzdem alles viel zu schnell ausgetrunken sein wird und ich dann viel nachkaufen muss, aber mit einem sehr guten Gefühl. 

Kleines Champagnerflorilegium der letzten Wochen

Bei verschiedenen Gelegenheiten mitnotierte Champagner, von ganz klein bis ganz groß, von enttäuschend bis überraschend.

1. Bernard Girardin Cuvée BG

52CH 35PM 13PN
Erfrischend, zitronig, leicht, aber noch griffig. Eine unbeschwerte Morgenserenade und mehr als nur ein Frühstückschampagner zum getrüffelten Ei.

2. Paul Dangin Carte d'Or

Drittelmix

Weniger ausdrucksvoll, in der Nase mehr Cerealien als Brioche, im Mund sauerampferig. Mich beschäftigt bei dieser Art von Champagner immer die Frage, ob der Champagner Flaschenvarianz zeigt, die ins fehlerhafte geht, oder ob dieser "Stil" gewollt ist. Ich fürchte, es soll sich dabei um einen Stil handeln. Für Dangins Carte d'Or nehme ich, da es meine erste Begegnung war, Flaschenvarianz an.

3. Varry-Lefevre Premier Cru

90PN 10CH; Ecueil
Süffig, mit Apfel und Mirabelle, ingesamt auf der gelbfruchtigen Seite; schon mit bemerkenswerter Reife, wobei ich natürlich nichts über den reserveweinanteil weiß. Und siehe da, ein weiterer Erzeuger aus Ecueil, den man auf dem Plan haben darf.

4. Collard-Picard

50PN 50PM
Frisch, glatt, säuerlich-schlank, Haselnuss und zitronige Sauce Gribiche, quirlig, aber etwas kurz. Zwischen diesem Einstiegschampagner und der Spitzencuvée des Hauses, den herrlichen Les Archives, klafft noch ein ziemlich großer Spalt. Schön wäre es, wenn sich die einfacheren Cuvées künftig weiter nach oben orientieren könnten.  

5. Henin-Delouvin Brut Tradition
Sehr überrascht hat mich dieser Chez Max getrunkene Standardbrut des 7-ha-Erzeugers aus Ay. Großzügig, aber nicht unfokussiert, schmiegt sich bis in die letzte Gaumenfalte. Das Latexkleid unter den körperbetonten Textilien.

6. Dourdon-Vieillard Brut Tradition
Noch eine Überraschung, diesmal von Fabienne Dourdon aus Reuil. Obstig. Von Peter Maria Schnurr aus dem Leipziger Restaurant Falco habe ich wenig später molekularküchenangehauchte Soja(?)/Joghurt-Multivitamin-Drops bekommen, die so ähnlich schmeckten. Trotz gewisser Anklänge an den fruchtigen Stil mancher großen Häuser kein blockbuster, dafür sehr ordentliche Ware, die sich in starkem Umfeld bemerkbar zu machen verstand.

7. Lilbert Fils Blanc de Blancs Brut Grand Cru 2002
Orange, Marzipan, Bitterschokoladenganache, Rum. Für einen 2002er vielleicht etwas überladen und man muss sich fragen, wie lange das Grundgerüst dieses Champagners die Aromenlast noch tragen kann. Ich bin aber bereit, das Lagerrisiko einzugehen.

8. Coessens L'Argillier Blanc de Noirs

Einer der Aube-Lieblinge in der französischen Champagnerkritik. Hierzulande völlig unbekannt. Gewöhnungsbedürftiger Stil, wenn man Aube mit Behäbigkeit gleichzusetzen gewohnt ist. Für mich auf Vallée de la Marne Grand Cru Niveau und für die dortigen Erzeuger ähnlich gefährlich, wie der fidèle von Vouette & Sorbée.

9. Tarlant Cuvée Louis, dég. 2008

Dieser Champagner ist teilweise in Frankreich noch für 39 EUR zu bekommen, ab Gut kostet er jetzt 48 EUR. Das ist lachhaft wenig, wenn man sich überlegt, dass es eine der längsteingeführten Winzer-Prestigecuvées ist, die, unvermeidliche Flaschenvarianzen hin oder her, außerdem zu den besten gehört.

10. Diebolt-Vallois Rosé
Den Rosé von Jacques Diebolt habe ich nur ganz selten getrunken, für mich lag es einfach nie nahe, mich näher damit zu beschäftigen. Dass ich mir damit ein fruchtiges Vergnügen erster Klasse abgeschnitten und selbst verwehrt habe, ist mir erst jetzt klargeworden. Der Champagner in der schlichten, diebolttypisch rosenverzierten Aufmachung ist so erfrischend wie ein Himbeerparfait.

11. Bernard Tornay Blanc de Blancs 2000

Für einen Bouzyerzeuger untypisch und blind trotzdem nicht ganz leicht zu erkennen. Hatte ich etwas älter als 2000 getippt, ein gut erhaltener 98er oder 99er dürfte so schmecken. Der Champagner wirkte wie ein Zwölfjähriger, der seinen ersten Tag im Internat verbringt. 

12. Vignon Père et Fils Blanc de Blancs Grand Cru Les Marquises

Reiner 2009er Chardonnay von ca. 30 Jahre alten Reben, Vinifikation teils im Stahl, teils im Fass, mit 5 g/l dosiert; ungeschönt, unfiltriert; 1500 Flaschen. Das Ergebnis ist recht prosaisch, eine aufgeklärte, unverdorbene Marquise. Klare Zitrusfruchtorientierung mit minimal exotischem touch und nur wenig Hefe.

13. Alain Thienot Rosé NV

35CH 45PN 20PM, Assemblagerosé mit 7% Ay Rouge, von alten Reben. Ca. 36 Monate auf der Hefe, dann mit 10 g/l dosiert.

Mit ca. einem Jahr Flaschenreife ist aus dem stimmigen Rosé ein richtig guter, saftiger, schnittiger Rosé geworden. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn viele Rosés sind auf schnelle Trinkbarkeit getrimmt. Dieser nicht, selbst wenn er schon jung gut getrunken werden kann.

14. Jean-Pierre Launois Brut Blanc de Blancs
Chardonnay aus Le-Mesnil. Mehr muss man fast nicht sagen, denn das was man von Le-Mesnil erwarten darf, bietet der Blanc de Blancs von Jean-Pierre Launois. Dabei pflegt er einen stahligen, ziemlich nüchternen Stil, dem eine Spur Holz vielleicht gar nicht schlecht zu Gesicht stünde.

15. V. Delagarde Brut Rosé

Delagarde ist der neue Delozanne. Und den – gar nicht soo – alten Yves Delozanne wirds freuen. Seine Champagner waren ja schon immer so etwas wie kleine Klone bekannterer Häuser; so ähnlich wie die Parfums die man in Grasse bekommen kann und die in Aufmachung und Duft den Weltmarken beim ersten Reinschnuppern immer erstaunlich ähneln. Mir gefiel der Rosé nicht schlecht, wenn man ihm keine Gelegnehit gibt, warm oder alt zu werden, kann man es gut mit ihm aushalten.   

16. Michel Turgy Blanc de Blancs Grand Cru 2002

Der Salon unter den Winzern von Le-Mesnil, so wird er ja adressiert. Das ist weder falsch noch richtig. Im Stil Salon tatsächlich nicht unähnlich, nur früher zugänglich und genau da liegt der Unterschied. Die Champagner haben ein ganz anderes Reifeprofil. Aber das mag bei einem Preisunterschied von ca. 120 EUR dahinstehen- Die Jahrgänge von Turgy jedenfalls sind ausgreifend, haben tiefe, dunkle, urwüchsige Säure und nichts ist ihnen ferner als tändelnde Fruchtigkeit.

17. Louis Roederer Cristal 2002

Frisch schmeckt er, der Cristal, auch süß; nicht nach pampiger Dosagesüße, sondern nach Reifesüße. Die wiederum ließ sich widerstandslos von den Trüüffelgnocchi aus dem Essener Hause Frattesi den Gaumen hinab entführen. Der weinige Geschmack im Mund schaukelte noch sanft aus und hinterließ einen weiterhin guten Eindruck vom jetzt nicht mehr ganz aktuellen Cristal, dessen Nachfolger mir, wie oft beim Cristal, schon jetzt besser schmeckt.

18. Dom Pérignon 2002

Im besten Dom Pérignon seit dem 1996er kommen jetzt pilzige Töne zum Vorschein, die zu dessen Reife dazugehören, wie große Reifen zu Monstertrucks. Passt wunderbar zu Sashimi, Datteln, Backpflaumen und übrigens auch zu Pimientos de Padron.

 

 

 

 

 

Weinzeitreise 1899 – 2009


I. 1. St. Antony Pettenthal 2006

Angenehm reif, würzig und gewichtig, mit unbeschwerter Säure.

I. 2. J.B. Becker Wallufer Walkenberg Spätlese trocken 1990

Reif, aber fast ganz ohne Petrol und Firne. Kernige, präsente Säure, saftiges Mundgefühl, wirkte unfassbar jung und sehr dynamisch, entwickelte sich über Stunden hinweg positiv.

II. Dom Pérignon 2003

Nachdem ich den neuen Dom Pérignon 2003 erst kürzlich einer Nagelprobe im Umfeld anderer Prestigecuvées unterzogen hatte, musste er nun in einem völlig anderen Kontext ran. Statt einer abgestimmten Speisenbegleitung gab es ein Stahlbad roter, weißer, stiller und sprudeliger Weine mal mit mehr, mal mit weniger Berührungspunkten zu unserem jungen Helden. Dabei bestätigte sich der beim ersten Test festgestellte Mangel an Säure. Wenn man den 2003er Dom in der Tradition von ebenfalls hitzigen Jahrgängen wie 1947, 1959, 1971, 1976 sehen will, wofür natürlich vor allem die besondere Hitze des Jahrgangs spricht, relativiert sich die skeptische Einschätzung etwas. Aber selbst große englischsprachige Stimmen sprechen beim Reifepotential "nur" von einem Zeitraum um 2020, das ist gerade einmal die erste plénitude, für einen regulär dégorgierten Dom Pérignon also das früheste Kindesalter.

III.1. Clos du Bourdieu Bordeaux Mousseux Blanc Brut Méthode Champenoise

Farbe von schleieriger Cola mit Fanta, nicht sehr schön anzusehen, für einen ca. 60 Jahre alten Schaumwein aber ok. Prickeln Fehlanzeige – auch das ok. In der Nase viel Pilz und Boden, auch Milch, Milchschokolade und Rahm – sehr ok. Im Mund volle Granate karamellisierte Mandelsplitter, ein lang und sauber nachklingender Pilzgeschmack und keine Spur von Metall, das bei so alten Weinen gerne mal die Tertiärschau zunichte macht. Exquisites Stöffchen für Altsprudeltrinker (bei denen kein Sprudel mehr drin ist).

III.2. Clos du Bourdieu Bordeaux Mousseux Rosé Sec (?) Méthode Champenoise

Knallrosarot, transparent, strahlend schön im Glas, und das bei dem Alter (ebenfalls ca. 60 Jahre plusminus)! In der Nase reife, pilzige Aromen, aber vor allem noch eine faszinierende Fruchtnote. Im Mund jugendlich, frisch, fruchtig, sogar noch ganz leicht prickelnd und mit einer ausgeprägten Süße, wie ein nicht genügend stark verdünntes Himbeersirupschörlchen. Gegenüber dem weißen Mousseux objektiv der lebhaftere, wahrscheinlich sogar bessere Wein, mir war er nur leider zu süß.

IV.1. Beaune 1949

Erdig, viel asiatische Schwarze-Bohnen Sauce und für mich zu viel flüchtige Säure, um ihn noch gut zu finden.

IV.2. Chambolle-Musigny 1949

Mähler-Besse Füllung. Ähnlich dem 49er Beaune sehr viel Erde, schwarze Bohnen, Sojasauce, dafür eine längere Aromenentfaltung und eine gesündere, obwohl schon leicht aggressiv wirkende Säure.

IV.3. Chambolle-Musigny 1947

Nochmal eine Steigerung, die Säure wirkt nicht so alleingelassen und aggressiv wie beim 49er Chambolle-Musigny, dafür gesellen sich salzige Aromen hinzu und geben dem Wein ausgewogenere Würze.

IV.4. Vosne-Romanée 1947

Mähler-Besse Füllung. In diesem Burgunderoldieflight mein Liebling, da er zusätzlich zu den bekannten und geschätzten Komponenten seiner Vorgänger eine seidenweiche, animierende und nicht vom Todeskampf herrührende Süße offenbart und damit von allen Flightpartnern der dichteste, feinstgewirkte Wein ist. 

V. Jurade de St. Emilion Vinée Eleonore d'Aquitaine 1952

Reife Süße von roter Paprika, gerösteter Sellerie und Liebstöckel, wirkt aber noch nicht annähernd so alt, wie er ist. Sehr flotter Wein, elegant, lang und sehr gut. Für mich ein echter Brecher.

VI.1. Dupard Ainé Charmes-Chambertin 1962

Seltsam floraler Duft wie in einem mit Blumen überladenen Krankenzimmer. Klebstoff. Kratzige bis beissende Säure, aber auch besänftigendes Graphit. Im Mund salé-sucré. Wirkt auf mich noch nicht oder nicht mehr richtig gefasst. Entweder jetzt trinken oder in drei bis fünf Jahren nochmal probieren, dann ist er entweder tot oder genesen.

VI.2. Latricière-Chambertin 1979

Dünner, flacher, pfeffriger Wein.

VII. Vieux Château Certan 1976

Gegenüber meinen ersten drei Begegnungen mit diesem Wein war er jetzt labberig weich und milchschokoladig. So wie es aussieht leider schon zu lange geöffnet.

VIII.1. Châteauneuf-du-Pape Vieux Donjon 1979

Der Jungfernjahrgang der Domaine schmeckt wie altes Moncherie mit einem Hauch Lavendel. Kann man sich noch gut gefallen lassen.

VIII.2. Châteauneuf-du-Pape Les Cailloux 1979

Ebenfalls reif, aber vollmundiger, mit komplexerer Süße, kesser Saftigkeit und einem breiteren Aromenfächer als der Vieux Donjon. Mit einigem Abstand mein Lieblingswein in diesem flight. 

VIII.3. Châteauneuf-du-Pape Les Marcoux 1979

Noch süßer als die beiden Vorgänger, dabei weicher und weniger profiliert, fällt er für mich gegen den Les Cailloux klar ab.

IX. Grand Puy Lacoste 1995

Sehr süß, sehr reife, dick geballte Früchte, dabei immer noch sehr gediegen. Verführt mit seiner einladenden Art zum achtungslosen Trinken, wäre mir aber in seiner jetzigen Phase nach mehr als zwei Gläsern schon wieder langweilig; die 95 PP kann ich verstehen, würde den Wein aber  erst in frühestens zehn Jahren nochmal trinken wollen.

X.1. Albert Bichot Château de Dracy Ratafia Comte d'Espiès Monopole de la Maison 1929

Nach dem süßreiffruchtigen GPL war der aromatisch von starken Châteauneufs vorbereitete Sprung zum burgundischen Ratafia trotz der räumlichen und zeitlichen Entfernung nicht mehr groß. Trockenbeerenaroma, sowie eine für alten Ratafia und Très Vieux Pineau de Charente typische, mildbalsamische, von Pilzrahmsauce und Mehlbutter flankierte Alkoholnote.

X.2. Château Géneste Villenave d'Ornon Eau de Vie de Bordeaux 1899

Sanddorn, rote Beeren, Safran und Curry, die mich an alten Eau de Vie aus Cognac denken ließen, aber auch ein leichter Pflaumenduft, der mich dann wieder auf alten Armagnac tippen ließ. Im Mund etwas gezehrt und wässrig, wahrscheinlich wegen des Alkoholverlusts im kaltnassen Keller (dort verfliegt der Alkohol schneller, während sich in trockenheissen Kellern das Wasser schneller verabschiedet und einen hitzigeren, alkoholischeren Brand zurücklässt). Die Wahrheit lag buchstäblich in der Mitte: Eau de Vie aus Bordeaux, der tatsächlich einige typische Eigenschaften der nördlich und südlich gelegenen Destillatsregionen Cognac und Armagnac in sich vereint.

XI. Calon-Ségur Premier Cru de St. Estèphe 1962

W.H. Bauly Füllung. Hohl, mit Zitrusspülmittelnote. Nicht besonders inspirierend, für meine Begriffe war der Wein um.

XII. Faiveley Morey-St.-Denis, aus den 70ern (?)

Alte Walnuss, Kräuter, Sauerkirsche. Außerdem Speck und Zedernholz. Im Mund dann sogar noch charmanter, als die schon recht angenehmen Nase vorab wissen lässt. Gefiel mir sehr gut.

XIII.1. Châteauneuf-du-Pape Chante-Perdrix 2009

Dunkle Siebenfruchtmarmelade, Rosmarin, Thymian. Sehr jung, deshalb nur in leicht angekühlter Form zu trinken. Mit so einem Wein verführt man Weinnovizinnen.

XIII.2. Châteauneuf-du-Pape Domaine Pierre Usseglio 2001

Reif und süß, dabei griffig, mit vielenvielen Kräutern. Mit diesem Wein verführt man Frauen, die von Hause aus sehr verwöhnt sind und zu leichten Pölsterchen neigen.

XIV.1. Nicolas Potel Volnay Vieilles Vignes 2005

Anfangs Pillenbox und Plastiknote, nach deren verfliegen kommen schwarzer Pfeffer und Schattenmorelle zum Einsatz. Entwickelt sich über Stunden sehr konzentriert weiter und hätte so früh gar nicht geöffnet oder zumindest dekantiert werden müssen. Bestätigt den guten, in den letzten Jahren wegen seiner vernünftigen Preise sogar immer besser gewordenen Ruf, den Volnay als Rotweinappellation genießt.

XIV.2. Friedrich Becker Spätburgunder Schweigener Sonenberg, Einzellage Kammerberg 2005

Leichter, unbeschwerter als der Volnay, mit mehr Sonne im Herzen. Der französischste deutsche Burgunder, den ich kenne, gleichzeitig ein völlig eigenständiges Weinprofil und mit mehr Reife ein Garant für erfreuliche Überraschung in französischen Burgunderproben.

XIV.3. André Guy Volnay 1964

Liebstöckel unter einer Käseglocke. Obwohl gut trinkbar, reißt dieser Volnay nicht mit, dafür ist er etwas zu kurz angebunden und immer stört der an zu lange im Kühlschrank gelagerten Käse erinnernde Oberton.

XV. Robert Chassaing Hermitage Cru Classé 1947 oder 1955

Brombeere, Maulbeere, Blaubeerjoghurt. Obwohl deutlich älter als der ihm von Norden quasi entgegenkommende Volnay, wirkt dieser Wein viele Jahrzehnte jünger, dynamischer, kerniger und so pumperlgsund wie noch selten ein Wein dieser Herkunft und dieses Alters sich mir präsentiert hat – wobei sich der Jurade de St. Emilion 1952 in ähnlich splendider Form gezeigt hat. Stoffreich und übervoll mit Aromen, so dass er zu platzen droht, wenn man ihn nicht leicht gekühlt trinkt. Ein phantastischer Abschluss.

XVI. Eric Isselée Cuvée Clement Blanc de Blancs Grand Cru élevé en fûts de chêne 2004

Boskoop-Apfeltarte, etwas roter Apfel, Vanillekipferl, Crème brûlée. Herbfrisch und um 3.50 Uhr  mit sehr belebender Wirkung, nach den vielen Roten mit einem auch gaumenklärenden Charakter. 

Stimmenfang: Gesumino Pireddu, Margaux.

 

Stimmenfang ist eine lose Folge von Kurzinterviews mit Sommeliers über Champagner, Cognac und dies und das in der Spitzengastronomie. Den Anfang machte Hagen Hoppenstedt vom Adlon. Eine Hausnummer weiter, räumlich gegenüber vom Adlon ist Michael Hoffmanns Restaurant Margaux schnell zu übersehen. Auf der kulinarischen Landkarte hingegen steht hier ein Monument. Auch biographisch gibt es gewisse Überschneidungen. Mitte der 80er schickt sein Ewersbacher Lehrherr Weise den damals noch jungen Michael Hoffmann ins Hamburger Vier Jahreszeiten, weil er dort was werden könne. Hoffman folgt dem Rat und Mitte der 90er wird er Küchenchef im Haerlin (bis 2010 Wirkungsstätte von Hagen Hoppenstedt aus dem Adlon). Seit 2000 führt er den Michelin-Stern; aktuell hält er 18 Punkte im Gault Millau. Feinschmecker und FAZ jubeln gleichermaßen über ihren Koch des Jahres 2010.

Michael Hoffmanns Sommelier Gesumino Pireddu kommt aus Witzigmanns Aubergine. Den Umgang mit der Gemüseküche von Michel Hoffmann meistert er mit vorwiegend deutschen Kreszenzen, obligaten Franzosen und einer Auswahl Weltklasseitaliener.

Pireddus Verhältnis zum Champagner ist entspannt. Bollingers R.D., die Champagner von Philipponnat, Mailly Grand Cru und Krug-Jahrgänge bereiten ihm ganz zu recht große Freude. Sein Champagnererweckungserlebnis war eine um 1990 geöffnete Private Cuvée von Krug. Das ist der Vorgänger der Grande Cuvée von Krug. Bis in die Endsiebziger gab es die Flaschen mit dem schlichten weißen Etikett unter diesem Namen, die ersten Grande Cuvées trugen ebenfalls noch das weiße Etikett, bevor der Wechsel zu den Leitfarben Gold und Rot stattfand. Zu Pireddus schönsten Champagnererlebnissen gehören seither folgerichtig alte Jahrgänge von Bollinger und Krug. Den 1959er Bollinger sieht er vor dem – bei guten Flaschen schon sehr guten – 1959er Dom Pérignon, sensationell sei der 1971er Krug gewesen. Nicht sehr groß, doch erlesen ist die Auswahl alter Oenothèques in Pireddus Keller. Dort liegen die Jahrgänge 1962, 1976, 1982, 1988 und 1990, die Flaschenpreise liegen zwischen 500,00 € und 1.000,00 €, was für Gastroverhältnisse nicht überteuert ist.

Wie er es mit Franciacortasprudel hält, wollte ich wissen. Kurz und knapp hält er es damit: Ca del Bosco und Bellavista. Andere Champagneralternativen? Eher nicht. Natürlich wird mit Sekt von Kirsten, Heymann-Löwenstein, Christmann und Frank Johns Hirschhorner Hof exzellenter Sprudel ausgeschenkt. Aber in der Wahrnehmung beim Publikum gibt es nach oben hin eine klare Grenze: auch wenn der Trend zum Winzersekt anhält: das Wahre ist doch der Champagner. Hierbei hält sich Pireddu persönlich an Blanc de Blancs mit möglichst klarer Linienführung und puristischer, mineralischer Art. Auch beim Cognac ist Pireddu Purist. Vom Cognacmix hält er zB nichts. Angeboten werden Hennessy, Hine und demnächst wieder Leopold Gourmel. Deren Cognacs eignen sich bestens für die Menubegleitung, ein Projekt, das Pireddu wohl Freude bereiten würde, jedoch im Margaux eher Exotenstatus hat. Eher schon sind hier ausgiebige repas au champagne denkbar und möglich. Wobei ich wiederum finde, dass exakt die floralen Noten der noch nicht ganz alten Grande Champagne Eaux de vie außergewöhnliche Verbindungen mit der Gemüseküche von Meister Hoffmann eingehen könnten.

Champagnernacht in Dorsten

 

I.1 Raumland, Blanc et Noir Brut Nature 2005

Umgeben von Champagner fühlt der Raumland sich wohl, was für den Sekt ebenso gilt, wie für seinen Schöpfer, dessen Sekte im Laufe des Abends noch einige Auftritte hatten und den ich in Person zwei Tage später wie durch Zufall in der Champagne traf. Der Blanc et Noir ist erkennbar kein Champagner, ohne dass er dadurch jedoch deplaziert wirkt, zumal wenn es der Auftaktsprudler einer Probe ist. Der Sekt war ruhig, souverän, mit Beerenobst dekoriert und einer aus dem Lesegut selbst stammenden Fruchtigkeit und Süße, die Dosagezucker entbehrlich werden lässt.

I.2 Gimonnet-Henry, Blanc de Blancs Cuis Premier Cru

Mit 8 g/l dosiert.

Im Gegensatz zum Raumland war der von Pierre Gimonnet gefertigte Champagner als solcher erkennbar, mit der Erkennbarkeit von Cuis habe ich dagegen meine Probleme, weil mir dafür einige wichtige Marker fehlen. Weder ragte eine besondere Feinheit, Nervosität und tänzelnde Unruhe heraus, noch die für nördliche Crus kennzeichnende Exotik oder die typisch südliche Mineralität. Wenn dieser Champagner eine Eigenschaft hat, dann die, dass er zwischen all diesen Eigenschaften liegt.

II.1 Leclerc-Briant, Les Chèvres Pierreuses

Sehr süß, sehr fortgeschritten und sogar etwas plump kam der sonst so phantastische Chèvres Pierreuses ins Glas. Kochbanane, mehlige Textur, überreifer, kopflastiger Charakter, so kannte ich das Meisterwerk von Leclerc-Briant gar nicht und bin deshalb sicher, dass mit der Flasche etwas nicht stimmte.

II.2 deMarne-Frison, Cuvée Goustan Brut Nature

Dass wir von Thierry und Valerie de Marne-Frison noch viel Gutes hören und trinken werden, scheint mir gewiss. Von Beginn an habe ich deren Grundweine probieren dürfen und der einnehmende Gesamteindruck bestätigte sich mit dieser erstmals vermarkteten Jungferncuvée auf hohem Niveau. Schlank, rasant, nervös, wie poliert, platinartig dunkel schimmernd, der Silver Surfer – und damit meine ich nicht die älteren Herrschaften unter der Internetbenutzern – des Abends. Heute gegenüber seiner Schwester im Vorteil, ich habe sonst immer den umgekehrten Eindruck gehabt; auch das ein gutes Zeichen für den sportlichen Ehrgeiz der beiden.

III.1 Ayala, Brut Majeur

Einen guten, straff gefederten Eindruck vermittelte der Standardbrut von Ayala, der mir im Vergleich zum großen Bruder Bollinger vorkam wie ein 3er BMW mit M-Paket gegenüber einem mäßig durchzugsstarken Serien-5er: bisschen assiger, aber mehr Fahrspaß.

III.2 Bollinger, Special Cuvée

Behäbig, nicht ganz so ausdrucksvoll und pinotkräftig wie ich ihn erst kurz zuvor bei Bollinger getrunken habe, wirkte die eigentlich zuverlässige Special Cuvée. Oder vielleicht war das auch das Problem: er wirkte eben allzu zuverlässig und unaufregend.

IV.1 Dönnhoff, Pinot Brut 2004

Schwach war der Dönnhoff-Sekt, Fenchel und Anis im Vordergrund, gefolgt von gähnender Leere am Gaumen und einem zehrenden, etwas stechenden Trigeminalgefühl. Volker Raumland räumte zwei Tage später ein, dass er damals schon mit dem Grundmaterial nicht völlig glücklich war. Schade, vom 2004er Dönnhoff hatte ich mir im Vergleich mit dem laut Gault Millau besten deutschen Sekt mehr erwartet.

IV.2 Ökonomierat Rebholz, R – Pi No Gold Brut 2004

Schon im letzten und vorletzten Jahr hatte mir dieser Sekt gut gefallen, blind erkannt hätte ich ihn allerdings nicht – damit teilt er freilich dasselbe Schicksal wie fast alle Schaumweine, was nicht an deren bemängelnswerter Qualität liegt, sondern an meinen begrenzten Verkosterfähigkeiten. Dem namengebenden Pi No Gold machte der Sekt alle Ehre, Farbe und Mundgefühl ließen an sich keinen Raum für Chardonnay, der folglich strukturbildend im Hintergrund wirkte und dort, wo sonst vielleicht die Frucht allzudick aufgetragen wirken könnte, eine korrigierende Säure bereitstellte und so dem Sekt seine vorbildliche Balance verlieh.

V.1 Larmandier-Bernier, Blanc de Blancs Premier Cru Extra Brut

Chardonnay aus Cramant, Avize, Oger, Vertus, 2007er Basis.

Sieht man sich an, aus welchen Örtchen die Trauben kommen, kann man schon erahnen, dass es sich selbst bei kleiner Dosage nicht um ein Säureungeheuer handeln wird, sondern um einen Champagner, der mit dem Terroir seiner Herkunftsgemeinden spielt, wenn nicht kokettiert. Kaum verwunderlich, wenn sich das im Glas bewahrheitet und keinerlei aggressive Säurespitze den Rachen aufreißt, sondern kalkiges, zerstoßenes Gestein die gediegene Mineralität von Grand Crus der Côte des Blancs repräsentiert, darübergegossen eine feine Crèmeschicht und locker auch darüber noch gestreut appetitanregende Vertus-Frucht.

V.2 deMarne-Frison, Blanc de Blancs Brut Nature Cuvée Lalore

Mit Larmandier-Bernier hatte die schon in jungen Jahren selbstbewusste Tochter des Hauses de Marne ihre Schwierigkeiten. Im direkten Vergleich ist ihr Chardonnay der aufgekratztere, exotischere und trotz der relativen Zurückhaltung des Larmandier-Bernier nicht ganz so säurehaltige. Das wiederum zeigt, wieviel versteckte Säure die Chardonnays aus der Côte des Blancs haben und wenn man das mal so deutlich wie hier vorgeführt bekommt, weiß man auch, warum die Crus der Côte des Blancs so phantastisch reifen (können). Meine hohe Meinung von der Lalore bleibt davon unberührt, schließlich sind nicht alle Blondinen gleich und ob man es mit Drew Barrymore oder Catherine Deneuve zu tun hat, spielt im Dunkeln ja auch nicht unbedingt die führende Rolle.

VI.1 Alfred Gratien, Blanc de Blancs

Ein gutes Match lieferte die jüngste Cuvée von Alfred Gratien. Das mittelgroße Haus aus Epernay ist bekannt für seine konservative Vorgehensweise mit viel Holz, ohne BSA und den Einsatz von Pinot Meunier bis hinein in die Spitzencuvée. Der Blanc de Blancs war nicht der logisch zwingende nächste Schritt bei der Weiterentwicklung des Portfolios, aber da man sich offenbar dazu entschlossen hat, muss er zumindest wohlüberlegt gewesen sein. Expertise im Umgang mit Holz und BSA sind insofern gute Voraussetzungen. Unter diesen Umständen hätte ich erwartet, einen wenn nicht burgundischen Typ, so vielleicht doch einen irgendwie charakteristischeren Chardonnay vorzufinden. Der Blanc de Blancs entzieht sich aber jedem Kategorisierungsversuch. Verwandtschaft mit der Côte des Blancs sehe ich überhaupt keine, mit Burgund wie gesagt auch nicht und mit den wenigen reinen Chardonnays aus der Montagne de Reims gibt es wenn, dann nur eine sehr entfernte Verwandtschaft. Dass er sich nicht schubladisieren lässt, macht ihn wohlgemerkt nicht gut oder schlecht. Womit er aufwarten kann, ist eine reife, milde, nicht sehr säurebetonte, bzw. nur untergründig säurehaltige Komposition, die sich zwischen Frucht und Mineralität noch nicht recht entschieden hat. Wenn diese Entscheidung mit zunehmender Flaschenreife einmal fallen wird – womit ich rechne -, dürfte sich die Nachverkostung lohnen.

VI.2 Diebolt-Vallois, Blanc de Blancs Prestige

Seit Jahren der unangefochtene Meister des Terroirs von Cramant. Weißes und gelbes Fruchtfleisch, Apfel, Honig, Birne, Pfirsich, Blütenduft, stimmige Säure, fließende Übergänge, Beherrschtheit und Entspannung wie beim Tai-Chi.

VII.1 Paul Bara, Special Club Grand Cru Brut 2002

70PN 30CH

Dunkle Früchte prägen das Bild, Haselnüsse und feiner, schmiegsamer Gerbstoff unter dem elegant geschwungenen Jahrgangsdach des 2002ers.

VII.2 Marie-Noelle Ledru, Grand Cru Brut Nature 2002

Im Vergleich zum schwerpunktmäßig feinnoisettigen reinen Bouzy-Champagner von Paul Bara ist Viticultrice Mme. Ledru bei ihrem Grand Cru Brut Nature 2002 mit Trauben aus Ambonnay und Bouzy darüber hinaus im Bereich der erdigen, kräftigen und würzigen Aromen anzutreffen. Der Champagner ist noch immer jugendfrisch, verliert aber langsam seine Ungebärdigkeit, seine manchmal unbeholfenen und eckigen Bewegungen werden geschmeidiger, harmonischer und ansehnlicher, neben der in frühen Stadien ungewöhnlich mächtig wirkenden Säure schälen sich jetzt ebenbürtige Frucht- und Nussaromen heraus.

VIII. André Clouet, Silver Brut Nature

100PN

Auch Clouet besitzt Reben in Ambonnay und Bouzy, dort sogar in Nachbarschaft zu Bollinger. Die Nähe ist nicht allein räumlich, sondern auch aromatisch nachvollziehbar. Der Silver Brut Nature ist wie eine Special Cuvée auf Dope.

Marco Henschel vom gleichnamigen Dorstener Restaurant brachte dann noch auf den Tisch:

IX. Georg Breuer, Brut 2002 (mit Kachel)

Spätburgunder, Weißburgunder, Grauburgunder

Ausbau teilweise im kleinen Fassl, Dosage mit Riesling-Auslese. Starker, eigenständiger Sekt und der einzige nicht von Volker Raumland hergestellte Sekt des Abends. Tatsächlich war es hier noch Georg Breuer selbst, der das Ruder führte. Weißer Pfirsich, ankaramellisierte Apfel, Lindenblüten, ein Hauch Bittermandel, ein touch Anisette, ohne dass ich den Eindruck hatte, dieser Sekt würde in die Niederungen zehrender Lakritznoten abrutschen, die sich nämlich bei Brut oder noch geringer dosierten Sekten so ähnlich ankündigen und für mich zu den unschönen Sektnoten gehören.

X. Dom Pérignon 1995

52CH 48PN.

Einer der stärkeren Doms der letzten Jahre und zur Zeit zusammen mit gesunden Exemplaren vom 1996er wahrscheinlich der beste "normale" Dom Pérignon, den man oft sogar noch zu recht vernünftigen Preisen bekommen kann. Hier gab es noch nicht die überhandnehmende Jodigkeit, Strenge und Mineralität der 1998, 1999, 2000, die für mich bestenfalls Ausdruck einer Japanisierung des Dom-Geschmacks sind – und weniger schmeichelhaft formuliert: eine marketingbedingte Qualitätsinflation. Leichtigkeit und Mühelosigkeit spielen bei diesem klassischen Dom tragende Rollen, unter den Elementen würde man ihn der Luft zuordnen; ein gut gedeckter Frühstückstisch im Garten eines Manoir tief in der sommerlichen France profonde duftet so, Croissant, Kaffee, Sahne, Butter, verschiedene Marmeladen, Blütendüfte vom Gras und vom Laubwerk der Bäume, der Duft von frischem Obst und Honig kommt noch dazu und alles changiert und schwebt munter über der Tafel.